Gesunder Gesang

Heilkraft im Gesang

Wer im Chor oder allein singt, stärkt sein Immunsystem, haben Wissenschaftler herausgefunden. Das aktive Erzeugen von Musik mit der eigenen Stimme kann offenbar Krankheiten vorbeugen und ist stimmungsaufhellend.

Ganz gleich, ob man Händels „Halleluja“ schmettert, ein Volkslied anstimmt oder aus voller Brust Schlager trällert: Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Singen gesund ist und glücklich macht. Längst weiß man, dass das Hören von Musik Stress löst und zur Entspannung beiträgt. Doch erst seit kurzem ist bekannt, dass Singen – das aktive Erzeugen von Musik mit der eigenen Stimme – Krankheiten vorbeugt und stimmungsaufhellend wirkt.

Beim Singen ist der Körper das Instrument

Singen ist archaisch, es gilt als die älteste Ausdrucksform von Musik. Beim Singen fungiert der Körper mit den Organen Lunge, Kehlkopf, Stimmlippen, Zwerchfell und Vokaltrakt als Instrument. Das Singen unserer Urahnen war nach Meinung von Ethnologen zunächst eine religiöse Kulthandlung, denn beim Singen verschmelzen Körper und Psyche zur perfekten Einheit.

Die Immunglobuline A sind Antikörper, die in Körpersekreten eine bedeutende Abwehrbarriere gegen Krankheitskeime bilden. Ein weiterer Effekt des Singens: Die Stimmung der Chorsänger hatte sich nach der Übungsstunde deutlich gebessert. „Es ist sogar deutlich zu spüren, wie der Alltagsstress beim Singen schwindet und sich die Laune bessert“, bestätigt die 45-jährige Tine Olbrich, die einmal in der Woche in einem kleinen Feierabend-Chor Popsongs singt. Auf dieses Gefühl möchte sie nicht verzichten und bleibt deshalb dem Singen treu. Sie habe schon als Kind „viel mit ihrer Familie“ und in einem Kirchenchor gesungen.

„Man kann sagen, dass das Singen einen Wohlfühl-Effekt auslöst. Das ist keine Kleinigkeit, schließlich ist ,Wohlbefinden‘ die Definition der Weltgesundheits-Organisation WHO für Gesundheit“, sagt Prof. Kreutz. Wenn Stress abgebaut und Widerstandskraft aufgebaut werde, könne man Singen nur empfehlen. Es optimiere die Lebensqualität selbst bei Lungenerkrankungen und könne Schmerzen Ängste und Traumata unter Anleitung von Musiktherapeuten lindern. Nach Meinung von Prof. Kreutz wird das Singen bisher noch viel zu wenig als „Medizin“ für Patienten eingesetzt.

Erste Ansätze gibt es allerdings: Seit 2009 setzt sich der Verein „Singende Krankenhäuser e.V.“ um Musiktherapeut Wolfgang Bossinger international für die Verbreitung heilsamer und gesundheitsfördernder Singangebote in Krankenhäusern, Psychiatrien, Rehakliniken, in Altersheimen, Behinderteneinrichtungen, Praxen und anderen Gesundheitseinrichtungen ein. Bossinger weiß nicht nur vom heilenden Effekt des Singens sondern auch von der positiven sozialen Wirkung: „Gemeinsame Singen schafft soziale Netzwerke. Aus Singgruppen entstehen Freundschaften von Patienten, ehemaligen Patienten und Besuchern“, sagt Bossinger. Gerade Senioren fänden dank der Singgruppen oft einen Weg aus Einsamkeit und Depressionen.

„Kinder werden nicht richtig motiviert und angeleitet

3,1 Millionen Bundesbürger singen heute in etwa 60 000 Chören. Längst nicht genug, findet Kreutz. Die musikalische Erziehung in Kitas, im Elternhaus und in der Schule lasse sehr zu wünschen übrig. Wer als Kind nicht zum Singen animiert werde, der singe auch als Erwachsener nicht mehr. Es verursache „einen großen gesellschaftlichen Schaden“, dass man vielen Menschen bereits in der Kindheit vermittelt habe, dass sie nicht singen könnten.

„Meine Hauptkritik ist, dass wir das Singen schlicht vergessen und verlernt haben“, sagt Prof. Kreutz, „viele Kinder in Kindergärten sind nur noch in der Lage ein bis zwei Lieder zu singen, manchmal tun sie es gar nicht oder werden falsch angeleitet – und gefährden durch zu viel Bruststimme auch noch ihre Stimmbänder. Den Kleinen wird viel zu selten beigebracht, mit Kopfstimme zu singen. Das schont die Stimmbänder und klingt auch viel schöner. Eltern und Erzieher kämpfen meist schon mit ihren eigenen Stimmen“, bedauert Prof. Kreutz. In Zeiten von Castingshows im Fernsehen bringen heutzutage viele Jugendliche Gesang mit Ruhm und Geld in Verbindung – doch nicht unbedingt mit Lust und Gesundheit.

„Singen sollte so selbstverständlich sein wie Sport und Fitness

Singen könne nur das Wohlbefinden steigern, wenn alle damit weniger verkrampft umgingen. ]e unverkrampfter gesungen werde, desto besser, sagt Prof. Kreutz. Nach seiner Meinung sollte das Singen ebenso selbstverständlichs ein wie Sport und Fitness. Leider könne man Männer im Gegensatz zu Frauen nur schwer für Gesangsgruppen gewinnen.

„Mich ärgert, wie viel mehr Geld für die Sportförderung im Vergleich zu anderen kulturellen Bereichen ausgegeben wird. Schlimmer noch, es fehlt nach wie vor an gut ausgebildeten Musiklehrerinnen und Musiklehrern an Grundschulen. Die Konsequenzen daraus lassen sich bei Chorwettbewerben unter Kita-Gruppen und Grundschülern hören. Sie klingen meist schlecht“, sagt Prof. Kreutz. Auch Musiktherapeut Bossinger macht sich stark für die Singförderung von Kindern. „Singen kann helfen, ihre seelischen Wunden zu heilen. Durch gemeinsames Singen wird die Empathiefühigkeit und soziale Kompetenz gefördert.“ Singen könne ein wirksamer Beitrag an Schulen zur Gewaltprävention sein.

Quelle: Ela Dobrinkat in der Beilage „Gesund“, Leipziger Volkszeitung, 23. März 2012